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«Ich nehm dir all dein Cash weg»

Unterwegs mit Loredana, Rapstar.
Bargeld spielt auch in Loredanas Musikvideos eine wichtige Rolle. Quelle: Youtube/Loredana

Loredana ist die erfolgreichste Rapperin der Schweiz, aber man kennt sie nur als mutmassliche Betrügerin.

Eine alte Scheune am Dorfrand von Gutenswil, Zürcher Oberland. Kühe und Kirschbäume, sanierte Riegelhäuser, Hofläden. Rentnerinnen, die aus dem Fenster grüssen, Rennvelofahrer in der Abendsonne. Der letzte Ort, an dem man Loredana vermuten würde, wenn man sie aus dem Internet kennt – und das tun die meisten.

Erst war Loredana das Instagram-Wunder, überschminkte Lippen, platinblonde Haare, eine junge Frau, die Hits nachsingt; dann war sie die Trickbetrügerin, kriminelles Mitglied eines Albaner-Clans. Angeblich. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Interviews hat die 24-jährige Luzernerin bisher nicht gegeben. Zuletzt trat sie im Mai vor die Öffentlichkeit, an einer Pressekonferenz in Pristina. Das Video dazu gibts auf Youtube: Ganz in Weiss sieht man sie da, XXL-Shades im Gesicht, getreu ihrem Megahit «Sonnenbrille», in dem es heisst: «Die Sonnenbrille schützt meine Identität.» Der Vorwurf, den sie bei dieser Pressekonferenz entkräften wollte: Sie habe eine Frau im Wallis bedroht und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen um mehrere Hunderttausend Franken betrogen. Flankiert wurde Loredana von zwei Anwälten und Ehemann Gramoz Aliu, Rappername Mozzik, die meiste Zeit sprach sie Albanisch. Nach einer knappen Stunde war die Show vorbei und noch immer alles unklar.

Anfangs interessierten die Medien sich nicht für sie, und als sich dann alle für sie interessierten, war Loredana die Lust auf Interviews vergangen. Ein weisser Mercedes-Geländewagen hält vor der Scheune. Loredana, babyblaue Teddyjacke, ausgefranste Jeansshorts, schwarze Doc Martens, steigt vom Beifahrersitz.

«Hi», sagt sie – ihre tiefe Stimme kennt man von Instagram-Videos – und lächelt, so sieht man sie selten. Erst kürzlich musste sie ihren Fahrausweis abgeben, wegen Geschwindigkeitsübertretung, aus diesem Grund fährt die Managerin. Es ist Mitte Juni, ein warmer Sommerabend, der letzte Tag ihres Drehs für das Video zu «Jetzt rufst du an».

Letzten Monat Kosovo, diesen Monat Zürcher Oberland. Die Scheune: umgebaut zu einem Studio. Die Zeit: halb sieben abends. Die Managerin: aus Berlin angereist. Ihre Make-up-Artistin und deren Assistentin: aus Pristina eingeflogen. Kosten für die zwei halben Tage, um das Video zu drehen: rund 30'000 Euro, es fehlt nur noch die letzte Szene. Die soll im Wald gedreht werden, vorher will Loredana ihr Outfit wechseln und das Make-up auffrischen.

Ein Jahr zuvor, im Juni 2018, veröffentlichte sie ihren ersten Song, «Sonnenbrille», ein deutscher Rapsong, viel Autotune, stark inspiriert vom bouncenden US-Rap der Nullerjahre. Loredana rappte über ihr «geficktes Leben», ihre Fendi-Sonnenbrille und Hände voller Cash – musikalisches Fastfood, schlichte Lyrics, aber mit gutem Flow, und von Anfang an war offensichtlich: Sie ist ein Showgirl – die Musikvideos trugen zum Erfolg bei. «Sonnenbrille» erreichte Platz 12 der deutschen Singlecharts, wurde zu einem der meistgeklickten deutschsprachigen Rapsongs, und aus ihren 400'000 Instagram-Followern wurden über eine Million. Es folgten «Bonnie & Clyde», «Milliondollar$mile», «Romeo & Juliet» – jeder Song bis heute allein auf Youtube mehr als 20 Millionen Mal gehört.

Im Februar dieses Jahres unterschrieb Loredana einen Deal über mehr als drei Millionen Euro mit dem Musikvertrieb Groove Attack, dem grössten Player auf dem deutschsprachigen Markt. Und man kann sagen, sie war nun die erfolgreichste Schweizer Musikerin. Der Vertrag beinhaltet drei Alben, das erste ist heute, am 13. September, erschienen. Eine enorme Summe für eine Schweizer Künstlerin, die nur Singles veröffentlicht hatte.

Man könnte denken, dass sie nun Dauergast im Fernsehen wurde, dass Porträts von ihr in sämtlichen Zeitungen erschienen und sie für die Swiss Music Awards nominiert wurde. Aber so kam es nicht, die öffentliche Schweiz ignorierte sie, ihre Plattform blieb Instagram. Eine junge Kosovo-Albanerin, die akzentfrei Hochdeutsch spricht, über Rolis (Rolex-Uhren) und Brillis (Brillanten) rappt und gern den Mittelfinger zeigt – das ist nicht Beatrice Egli, die Schlagerprinzessin, oder Sophie Hunger, die vom Feuilleton hochgelobte Musikerin, oder Lo & Leduc, die perfekten Schwiegersöhne. In den USA hätte man das Märchen ihres sozialen Aufstiegs gefeiert, in Deutschland boomt der migrantisch geprägte Deutschrap, aber in der Schweiz, da fehlte für eine wie sie die Kategorie.

Das änderte sich Mitte Mai. Da nämlich bescherte ein Skandal der Internetseite von «20 Minuten» historische Klickzahlen: «Rapperin Loredana zockt Walliser Ehepaar ab». Während die Make-up-Artistin ihr den Lidstrich nachzeichnet, beginnt Loredana darüber zu reden. Wir sitzen in der Maske, niemand hat danach gefragt, aber es scheint ihr ein Anliegen: die Festnahme, die Staatsanwaltschaft, Petra Z. im Wallis, das viele Geld, die Presseberichte, ihre Brüder. Julia, die Managerin muss Loredana irgendwann unterbrechen, es eilt, bald geht die Sonne unter, und sie muss noch ein Outfit aussuchen.

Petra Z.s Anzeige

Wenn Loredana andere Menschen anspricht, dann immer mit Namen. «Weisst du, Julia», sagt sie jetzt zu ihrer Managerin, die ihr ein Trägertop hinhält, «das Problem ist zu viel Haut. Es ist schon ein Wunder, dass ich eine kurze Hose anhabe.» Auf keinen Fall will sie sexy wirken. Später sagt sie: «Ich will, dass jeder, der meinen Song anklickt oder mein Video sieht, von Anfang an denkt: Oha, krass, was ist das für eine geile Rapperin. Und nicht: was für eine geile Schnitte.» Sie trage oft die Kleider ihres Ehemanns Mozzik in XXL. Unisex-Look. Sie schlüpft in eine schwarze Lackhose, nimmt dann doch das weisse Top, zieht aber ein transparentes, grünes Cape darüber. Ihre Outfits, auch für die Videos, sucht sie selbst aus.

Im Auto spielt sie den neuen Song, dreht die Lautstärke auf und singt mit: «Du siehst mich im Fernsehen, ich bin in den Charts, hab mein neues Auto mit Bargeld bezahlt.» Der Song ist Pop, ganz anders als die vorherigen. Mit Gangsta-Rap hat das wenig zu tun. Vielleicht ist es Zufall, vielleicht Kalkül. Es war in den vergangenen Monaten für ihren Ruf nicht unbedingt hilfreich, dass sie in den Musikvideos mit Waffen hantierte, einen Song «Bonnie & Clyde» nannte und dass viele Songtexte so gut zu den Vorwürfen im Betrugsskandal passten.

«Ich will, dass jeder, der mein Video sieht, von Anfang an denkt: Oha, krass, was ist das für eine geile Rapperin. Und nicht: was für eine geile Schnitte.»

Am Abend des 7. Mai, ein Dienstag, hatte die Luzerner Polizei bei Loredana geläutet, ihre Wohnung durchsucht und sie, ihren Ehemann und die kleine Tochter auf die Wache mitgenommen, um sie zu befragen. Dreissig Polizisten, schätzt Mozzik, mit zwölf Polizeiautos, nach drei, vier Stunden wurden sie wieder freigelassen: Es bestehe keine Flucht- und Verdunklungsgefahr, so die Luzerner Staatsanwaltschaft. Computer und Handy wurden routinemässig beschlagnahmt und Loredanas Konten eingefroren. Im Juli 2018, fast ein Jahr zuvor, hatte eine Frau aus dem Wallis, in der Öffentlichkeit später als «Petra Z.» bekannt, bei der Polizei Anzeige erstattet. Dann war lange nichts passiert, auch wegen Unstimmigkeiten zwischen der Polizei im Wallis und in Luzern, wer denn eigentlich zuständig sei.

Mittlerweile liegen die Ermittlungsakten in der Zürcher Kanzlei des Rechtsanwalts Thomas Fingerhuth, darin heisst es: «Die Staatsanwaltschaft Luzern, Abteilung 1, hat gegen Loredana Aliu (geb. Zefi) ein Strafverfahren wegen Verdachts des Betrugs (Art. 146 St.B) eröffnet. Es besteht der hinreichende Tatverdacht, dass die Beschuldigte ca. von August 2017 bis Juni 2018 in Zürich, Luzern und andernorts insgesamt über Fr. 350'000 von Petra Z.* erhältlich machte, indem sie sich u. a. als Rechtsanwältin ausgab und ihre Hilfe anbot, um mehr als Fr. 200'000, welche die Geschädigte zuvor an ihren Bruder** übergeben hatte, zurückzuholen. Sie täuschte die Geschädigte über den Verwendungszweck der erhältlich gemachten Geldbeträge und setzte diese u. a. telefonisch und per Kurznachrichten unter grossen psychischen Druck, um immer weitere Geldbeträge zu erhalten. Es wurde kein Gegenwert an Petra Z.* geleistet.»

«Ich könnte dazu sehr viel sagen», sagt Loredana, «genauso wie sie das gemacht hat. Aber das ist nicht mein Ziel. Ich will nicht reden, ohne dass der Staat redet. Das ist nicht meine Aufgabe. Meine Aufgabe ist, mich nach hinten zu lehnen, zu sagen, ich bin unschuldig, es gilt die Unschuldsvermutung. Und wenn du mir glauben willst, dann glaub mir, und wenn nicht, dann nicht. Ich kann ja nicht über mich urteilen, ich bin ja kein Richter und kein Staat.»

Viele Songzeilen sind Zitate aus ihrem Leben. «Meine Tochter ist die Prio» , singt sie etwa in «Labyrinth». In ihren Insta-Storys kann man täglich sehen, wie verliebt sie in die acht Monate alte Hana ist. Im gleichen Song rappt sie: «Ich hab mich niemals ausgezogen für die Klicks», eine ihrer Grundüberzeugungen, auf die sie immer wieder zu sprechen kommt. Auch die Sache mit dem Fahrausweis ist Thema, in «Sonnenbrille»: «Ich fahr’ wieder zu schnell um mein’n Block, um mein’n Block. Die Cops halten mich an, ja, sie sagen zu mir, Stopp!» Und dann kommen da Zeilen wie: «Ich nehme dir all dein Cash weg. Ich hab’ zehn Mille in bar da. Ich glaub’, das liegt an mei’m Karma.» Oder: «Du bist Bonnie, Bonnie, ich bin Clyde. Wir wollen nur das Geld, Gangsta’s Paradise.» «Hashtag Ich nehm dir all dein Cash weg», gleich in zwei Songs.

Loredana erfasst andere Menschen blitzschnell. Vielleicht ist das eines ihrer grossen Talente. Im Auto fängt sie fast einen Streit mit ihrer Managerin Julia an, weil die telefoniert. Dann erklärt sie ihr, sie dürfe nicht so schnell fahren, dabei fährt sie nicht besonders schnell. Ermahnt sie Julia aus Einsicht oder weil sie sich geläutert geben will? Schwer zu sagen, aber für jemanden, der in ein Strafverfahren verwickelt ist, macht es sich in jedem Fall gut. Später erzählt sie mir ausführlich von der Geburt ihrer Tochter. Warum sie auf keinen Fall einen Kaiserschnitt wollte. Wie sie die ersten Tage nach der Geburt erlebte. Schwer zu sagen, ob sie wirklich gern darüber spricht oder ob sie vor allem möchte, dass ich mich, weil schwanger, wohlfühle. Dass ich sie mag. Das ist ihr wichtig. Und das macht sie sympathisch.

Vielleicht hat sie auch schon früh gelernt, dass man sich Zuneigung erarbeiten muss – als Jüngstes von zehn Kindern, aufgewachsen in Emmenbrücke im Kanton Luzern, auch Emmebronx genannt, wegen der vielen Migranten und der hohen Arbeitslosigkeit, der Vater arbeitete in einer Fabrik, die Mutter putzte. Als Loredana 1995 geboren wurde, erzählt sie, war ihre Mutter schon 42. Der Vater habe sich so für die späte Schwangerschaft seiner Frau geschämt, dass er sich nach der Geburt tagelang weigerte, Mutter und Kind im Spital zu besuchen. Mit der Zeit sei sie dann sein Lieblingskind geworden.

«Ich nehme dir all dein Cash weg. Ich hab’ zehn Mille in bar da. Ich glaub’, das liegt an mei’m Karma.»

Jedem ein gutes Gefühl geben

Im Wald hat das Kamerateam zwischen den Bäumen bereits eine Telefonkabine aus Plexiglas aufgebaut. Es wird dunkel, in den Baumkronen hängen Scheinwerfer, Rauchschwaden ziehen über den Waldboden. Alle duzen sich, niemand sieht älter aus als dreissig. Loredana begrüsst jeden einzeln, macht einen Scherz, lobt die Beleuchtung. Auch jetzt bemüht, allen ein gutes Gefühl zu geben.

Ob in ihren Insta-Storys, im Gespräch mit ihrer Managerin, jetzt mit dem Team am Set oder in ihren Songs: Loredana spricht immer Hochdeutsch. Sie ist in der Schweiz geboren und aufgewachsen, kann natürlich perfekt Schweizerdeutsch, in Deutschland hat sie nie gelebt, aber dort wohnen ihre Fans, dort sitzt ihr Management, dort sind ihre Rapperkollegen. Sie hat sich sogar diesen leichten Hip-Hop-Akzent zugelegt, der zum Deutschrap gehört wie Tattoos und dicke Uhren. Die Helden in diesem Paralleluniversum heissen Bushido, Farid Bang, Xatar, Capital Bra, KC Rebell, Bausa, Summer Cem, Shindy. Erfolgreiche Frauen wie Juju sind die Ausnahme und haben meistens wenig an wie etwa Shirin David oder Schwesta Ewa. Fast alle haben sie einen Migrationshintergrund, und wer keinen hat, tut zumindest so.

Inzwischen ist es fast dunkel. Loredana steigt in die Telefonkabine, flirtet mit der Kamera, tanzt, bewegt die Lippen, als sänge sie. Mücken überall, wegen des Lichts und des nahen Sees, es muss schnell gehen. Der Kameramann kommt näher, ruft Anweisungen, filmt die Bäume. Nach zwanzig Minuten ist alles im Kasten.

Seit niemand mehr CDs kauft, heisst die Währung in der Musikbranche Klicks und Streams. Wer lange genug im Geschäft ist und berühmt genug, um grosse Hallen zu füllen, setzt zusätzlich auf Konzerte, wichtiger für die meisten aber ist: Wie oft wird ein Video auf Youtube geschaut? Und wie oft wird ein Song über Spotify oder andere Streamingdienste online angehört? Diese Zahlen verwandeln sich direkt in Geld. Wie viel das ist, hängt bei Youtube auch davon ab, wie viel teure Werbung man davor schalten kann. Für jedes Abspielen eines Songs zum Beispiel über Spotify erhält der Künstler oder sein Vertrieb Geld vom Streamingdienst. Es sind jedes Mal nur ein paar Rappen, aber über die Zeit kann sich das rechnen. Loredanas deutscher Rapkollege Summer Cem machte kürzlich öffentlich, wie oft sein Album «Endstufe» im vergangenen Jahr gestreamt wurde, woraufhin das Branchenportal «Raptastisch» ausrechnete, dass er innerhalb von zwölf Monaten allein mit Streams mindestens 1,24 Millionen Euro verdient habe.

Lange wurde eine Goldene Schallplatte, die Auszeichnung der Musikindustrie für einen besonders erfolgreichen Song, an den Verkäufen gemessen. Eine Single, die in der Schweiz mehr als 15'000-mal oder in Deutschland mehr als 150'000-mal über die Ladentheke ging, erhielt den Status der Goldenen Schallplatte. Inzwischen ersetzen Streams grösstenteils die Verkaufszahlen: 200 Streams zählen so viel wie eine verkaufte Single, der Zeitraum spielt dabei keine Rolle. Loredanas Management zufolge ist ihre Fanbase sehr stark, das heisst, ihre Fans sind treu und hören ihre Songs in Endlosschlaufe – im Gegensatz zu anderen Künstlern, die von mehr verschiedenen Leuten, dafür oft nur einmal gehört werden. Und vier ihrer Singles haben in der Schweiz Goldstatus.

Loredana, die mit Groove Attack einen Millionenvertrag abgeschlossen hat, lässt von diesem Geld ihre Songs und Videos produzieren, zahlt ihre Reisen und alle übrigen Ausgaben. Das Geld wird von ihrem Management verwaltet. Sobald sie die drei Millionen Euro mit den vereinbarten drei Alben wieder eingespielt hat, wird sie an den weiteren Einnahmen beteiligt.

Ihr Management Twosides, wo Julia arbeitet, ein Joint Venture mit dem Sony-Music-Label Four Music, wurde gegründet von Lucas Teuchner, der als einer der einflussreichsten deutschen Musikmanager gilt. Er ist 25. Ausser Loredana hat er Shindy, Bausa, weitere Rapper, neuerdings auch Lena Meyer-Landrut unter Vertrag. An Öffentlichkeit ist Teuchner nicht interessiert. Interviews gibt er nur off-the-record, er hat Presse nicht nötig.

Müsste man einem Publikum, das nicht auf Instagram ist, das Phänomen Loredana erklären, dann so: Sie ist der perfekte Internet-Star. Sie hat genug Sex-Appeal, aber nicht zu viel; sie kann singen, wenn auch nicht wie Beyoncé; sie wird von Männern wie Frauen gemocht. Und sie hat Geschäftssinn.

100'000 Streams = 200 Euro

In Deutschland wird gerade darüber gestritten, ob Streamingzahlen sich systematisch manipulieren lassen. Ein anonymer Hacker hatte in einer ARD-Dokumentation behauptet, er könne gegen Geld fantastische Streamingzahlen kreieren, die Künstler selbst wüssten nichts davon. 50'000 Euro für eine Goldene Schallplatte. Er habe so mehrere deutsche Künstler gross gemacht – im Auftrag von Leuten aus der Branche. Der Grund, warum er nun an die Öffentlichkeit gehe: Er sei nicht korrekt bezahlt worden. Vorwürfe gingen auch an die Adresse von Loredanas Vertrieb Groove Attack. Tatsächlich demonstrierte der Hacker, wie er einem Testsong innerhalb weniger Tage über 100'000 Streams verschafft – auf Spotify ein direkter Verdienst von 200 Euro. Einen eindeutigen Beweis für solche Manipulationen konnte er aber nicht vorlegen. Groove Attack dementierte alle Vorwürfe.

Einfach manipulieren lassen sich Follower-Zahlen auf Instagram – die kann man kaufen. Allerdings spielt das keine so grosse Rolle mehr, wenn man so erfolgreich ist wie Loredana. Bei 1,7 Millionen Fans sind definitiv genug echte dabei.

Unbestritten ist, dass viele Songs heute auf Streaming-Erfolg hin komponiert werden, auch die von Loredana: Sie dauern höchstens vier Minuten; sie fangen direkt mit der Hook an, dem Refrain, damit niemand ungeduldig wegklickt. Und das Ziel ist, es in bestimmte Playlists bei Spotify zu schaffen, denn das verhilft zu Aufmerksamkeit. Und Aufmerksamkeit ist Geld.

«Wenn du mir glauben willst, dann glaub mir, und wenn nicht, dann nicht. Ich kann ja nicht über mich urteilen, ich bin ja kein Richter und kein Staat.»

Eine Woche später in Loredanas Lieblingsrestaurant in der Luzerner Innenstadt, elegante Kellner, weisse Tischdecken. Mindestens einmal in der Woche isst sie hier zu Mittag, heute zusammen mit ihrem Mann, ihrem Presseberater, ihrer Managerin und mir. Mozzik hat den weissen Geländewagen in der Tiefgarage parkiert, die Kellner begrüssen Loredana wie die Stammkundin, die sie ist. Sie bestellt für alle, ohne zu fragen, Penne all’arrabbiata und Salat, das sei hier die Spezialität. Zwischen den älteren Ehepaa.ren an den anderen Tischen fällt sie auf: neongelber XXL-Sweater, schwarze Daunenweste mit Leopardenprint, orangefarbene Trainingshose, hellblaue Fingernägel, platinblonde Haare. Und immer eine Zigarette.

«Wenn wir Rapper an einem Donnerstag alle releasen, dann gibt es nach einer Woche eine Charts-Platzierung, und jeder will die 1», erklärt sie. «Ich will nicht unbedingt die 1. Was ich will: Wenn ich auf Youtube was poste, dass da mehr Likes als Dislikes sind. Lieber bin ich auf Platz 3 oder 4 und habe da.für 90 Prozent positives Feedback. Anstatt Platz 1, aber nur 70 Prozent gutes Feedback und 30 Prozent schlechtes.» Sie hat kein Problem damit zuzugeben, dass sie sich die Zeit nimmt, jeden Instagram-Kommentar zu lesen, und wenn jemand etwas schreibt, das ihr nicht passt, dann löscht sie es. «Auf meiner Seite darfst du keinen Scheiss schreiben. Sonst wirst du geblockt. Dafür hab ich gottverdammt die ganze Nacht Zeit.»

Nachdem ihr Foto in allen Zeitungen war, erlebte sie Merkwürdiges. In einer abgelegenen Bergbeiz, wo Mozzik und sie von allen angestarrt wurden, dachte sie zuerst, der Grund sei, dass sie eben einfach anders aussehen, mit den Tattoos und den bunten Hip-Hop-Kleidern zwischen den Berglern, es schien ihr unmöglich, dass man sie erkannte. Aber dann habe ein alter Mann sie gefragt: «Bist du Loredana? Ich hab über den Skandal gelesen. Keine Sorge, ich glaube nicht alles. ‹Sonnenbrille› ist ein super Song.» Wenn sie in Luzern shoppen geht, ist sie schnell von ganzen Schulklassen umringt, deshalb bestellt sie ihre Kleider inzwischen lieber im Internet. Als sie kürzlich ein Viersternehotel an der Seepromenade betrat, wo sie gern zu Mittag gegessen hatte, erhielt sie Hausverbot, was sie offenbar kränkte, sie erzählt diese Anekdote mehrmals und betont, dass es die einzige negative Erfahrung dieser Art gewesen sei. In einem anderen Hotel, das sie ebenfalls regelmässig frequentiert, brachte man ihr einen Teller Guetzli und versicherte ihr, sie sei weiterhin sehr willkommen.

Loredana liebt mondäne Mittagessen. Und eigentlich gibt es kein besseres Symbol für dieses neue Leben, das sie sich erfunden hat – ganz allein hat sie es vom gesichtslosen Wohnblock in Emmenbrücke, wo sie aufwuchs, bis zur eleganten Luzerner Seepromenade geschafft: Jetzt ist sie verheiratet, hat eine Tochter und einen 3-Millionen-Deal in der Tasche. Hat eine Wohnung mit Seeblick, drei Autos und geht mittags in Viersternehotels essen. Sie verdient mehr Geld als Mozzik und mehr als all ihre Geschwister zusammen. Und das mit 24.

Der Vater habe früher nur wenig Zeit für die Kinder gehabt, erzählt ihr Bruder später. Die Mutter musste sich um Erziehung und Haushalt kümmern, heute sei sie kaputt von dieser Anstrengung. Wenn man so aufwächst, sagt der Bruder, sei es kein Wunder, wenn einer auf die schiefe Bahn gerät. Er sprach von sich – nach zahlreichen Straftaten wurde er nach Kosovo ausgeschafft.

Auch Loredana sieht es so. «Von zehn Kindern sind zwei kriminell», sagt sie über ihn und einen zweiten Bruder – nicht über sich. «Ich finde: nur zwei. Das ist doch voll okay, acht haben nichts gemacht.»

An Auffahrt ist ihr Vater mit siebzig Jahren gestorben. Am Karfreitag hatte er einen Schlaganfall. Loredana, die zur katholischen Minderheit im überwiegend muslimischen Kosovo gehört und für die Beerdigung nach Kosovo reiste, sieht darin eine Symbolik. «Alle anderen in meiner Familie haben nach seinem Tod Beruhigungsmittel genommen», sagt sie, «aber ich wollte das richtig fühlen.» Wie bei der Geburt ihrer Tochter, alles erleben, sich drauf einlassen, auch wenns wehtut.

Sie hat noch immer nur den kosovarischen Pass. Ihre Mutter, sagt sie, habe mal die Einbürgerungsunterlagen für sie bestellt, der sei das wichtig gewesen, aber sie selbst habe sich dann nicht weiter drum gekümmert. Sie weiss, dass sie derzeit wegen der Betrugsvorwürfe kaum eine Chance hätte, Schweizerin zu werden, aber wenn das alles vorbei ist, dann kann sie sich vorstellen, sich einbürgern zu lassen. «Und dann poste ich meinen Schweizer Pass auf Instagram.»

Loredana war bis zur neunten Klasse in der Schule und machte dann das KV. «Als ich aus der Schule kam», sagt sie, «hatte ich ehrlich gesagt grosse Probleme. Weil ich nichts gelernt hatte, was ich im Leben wirklich brauche, nicht mal, wie man eine Steuererklärung ausfüllt. Das Einzige, was ich in der Schule gelernt habe und wofür ich wirklich dankbar bin, ist Schreiben und Lesen.» Wie kann man schnell reich werden ohne klassische Bildungskarriere? Als sie Mozzik heiratete, war der schon ein bekannter Rapper in Albanien, mit erfolgreichen Alben, einem eigenen Label und, nach eigener Aussage, zwei Millionen Euro auf dem Konto. Er ermutigte sie, es auch zu versuchen, Loredana hatte ihre Instagram-Follower bis dahin mit Lip Sync unterhalten, mit der App Tiktok, mit der man sich filmt, wie man Playback singt zu fremden Songs, und der deutsche Produzent Macloud sah ihr Talent. So entstand «Sonnenbrille».

Loredana weiss, wie ein Star klingt. Über ihren Aufstieg innerhalb eines Jahres sagt sie: «Wenn man etwas liebt, fällt es einem leicht», um dann wieder entwaffnend ehrlich zu sein: «Ich bin nicht so musikalisch wie Bausa, der super Klavier spielt. Ich weiss, was gerade in ist, und nehme den Beat, der ohrwurmig ist.» Qualität ist für sie gleichbedeutend mit Erfolg. Wer Erfolg hat, der ist auch gut.

Wenn es ums Geschäft geht, zollt sie dem deutschen Rapper Bushido Respekt. «Der hat so eine krasse Attitude. Der ist so unantastbar», sagt sie. «Wie kann man über zehn Jahre so erfolgreich in der Musik sein? Mit Gangsta-Rap. Ich würde echt gern mal mit dem an einem Tisch sitzen und ihn fragen: Alter, wie hast du das geschafft? Obwohl du so viel Scheiss in deinem Leben gebaut hast und so viele Fehler gemacht hast? Was war das Geheimnis? Was ist das Scheissrezept?» Aber sie sagt auch: «Ich bin mir mein eigenes Vorbild, dafür kämpfe ich jeden Tag.» Kämpfen – überhaupt ein Wort, das sie oft benutzt.

«Ich mag keine albanische Musik», sagt sie, um rasch zu ergänzen, «ausser natürlich die von meinem Mann.»

Mozzik ist schweigsam, viel am Telefon. Er trägt einen weissen Adidas-Trainer, ein rotes Cap, die Handrücken tätowiert. Sein Deutsch ist passabel, aber noch nicht perfekt, erst vor einem Jahr ist er für Loredana in die Schweiz gezogen.

Zwei Bettlerinnen kommen an den Tisch und strecken die Hand aus. Als Mozzik ihnen Münzen gibt und sie weiterziehen, sagt Loredana: «Alter, denen musst du nichts geben. Schau doch, wie schön sie angezogen sind.»

Eingerichtet wie ein Hotel

Nach dem Mittagessen trinken wir einen Espresso auf ihrer Terrasse.

Loredana wohnt an bester Lage, in einer Art Gated Community zwischen wohlhabenden Rentnern. Die Wohnung: eingerichtet wie ein Hotel, Flachbildschirm, Sofaecke, die Küche blitzblank wie im Katalog. Neben der Eingangstür stapeln sich Pakete, sie öffnet sie sofort: limitierte Sneakers.

In der Küche füttert die Babysitterin Loredanas Tochter Hana mit Brei. Die Frau ist noch in der Probephase. «Am Anfang gibt sich jeder Mühe», erklärt Loredana ihre Skepsis, «aber irgendwann zeigt man, wie man wirklich ist, so sind doch die Menschen.»

Auch wenn sie in ihren Musikvideos Waffen schwenkt und das Image der Gangsta-Rapperin bedient: Ihr eigenes Leben sieht ganz anders aus. «Alle denken, ich mache ständig Party, aber das stimmt nicht. Am liebsten bin ich zu Hause mit Hana und Mozzik, oder wir gehen gemütlich essen.» Sie habe noch nie Alkohol getrunken und das auch nicht vor, nachdem sie gesehen hat, was er bei anderen anrichtet, auch bei Mitgliedern ihrer Familie. Im Kosovo leben? Zu unsicher. In Berlin? Zu dreckig. Von wegen Ghetto: Familie, Komfort, Ruhe, es ist diese leichte Spiessertendenz, die auch andere Deutschrapper schätzen – ihre deutschen Labelkollegen Bausa und Shindy zogen sich in die schwäbische Provinz zurück.

«Letztendlich geht es darum, dass ich ein schönes Leben will», sagt sie. «Dafür mache ichs.»

Loredana lobt die Sauberkeit auf den Strassen, das Funktionieren der Bürokratie, die Freundlichkeit der Polizisten, die sie verhaftet haben. Sie mag diese gewisse Distanz, mit der die Menschen sich hier begegnen. Diese dosierte Herzlichkeit. «Die Schweiz ist mein Zuhause», sagt sie, «dafür würde ich sogar freiwillig Steuern zahlen.»

Familie ist für sie alles. «Ich hab keine privaten Freunde», sagt sie. «Meine Freunde sind diejenigen, mit denen ich arbeite. Meine Managerin Julia zum Beispiel oder meine Make-up-Artistin Dafiné Neziri. Oder mein Produzent Macloud. Ich kann mir meine Freunde mittlerweile aussuchen, und wir müssen uns schon gegenseitig was bringen. Der Grund, warum ich keine Freunde brauche, ist, dass ich so eine grosse Familie habe.» In ihrer Freizeit besucht sie ihre Mutter oder ihre Geschwister. Nie würde sie ein schlechtes Wort über die Familie verlieren. Ein Bruder wohnt in Kosovo, einer in Frankreich, eine Schwester in Schweden, der Rest in der Schweiz. Eine Schwester lebt in Zürich, ein Bruder in Bern, ein Bruder noch bei ihrer Mutter. «Ich will auch unbedingt noch mit vierzig ein Kind kriegen, wie meine Mama das gemacht hat», sagt Loredana, «dann weiss ich, ich bin mein Leben lang nicht alleine. Es gibt für mich nichts Schöneres im Leben als Kinder.»

Was ihr etwas bedeutet, lässt sie sich tätowieren. Die wichtigsten Tattoos: Ein L für den Vornamen ihres Vaters, das Geburtsjahr ihrer Mutter, das ihres Lieblingsbruders, der abgeschoben wurde. Das Datum, an dem sie mit Mozzik zusammenkam. Und neuerdings der Name ihrer Tochter auf dem Unterarm. Allerdings ist nicht jedes Tattoo mit tieferem Sinn aufgeladen: Auf ihren Oberschenkeln steht «Born in the 90’s» und «Ready to die», auf ihrem Dekolleté «Cash only».

«Letztendlich geht es darum, dass ich ein schönes Leben will. Dafür mache ichs.»

Die Frage, die nun einige beschäftigt: Wird ihr Ruhm als Superstar wachsen, oder wird sie bald auf der Anklagebank und dann womöglich in einer Gefängniszelle landen? Dann könnte ihr die Ausschaffung nach Kosovo drohen. Oder aber ist beides möglich – eine Verurteilung, die ihrem Image den letzten Schliff gibt?

In Deutschland gibt es – anders als in der Schweiz – viele Rapper und ein paar wenige Rapperinnen, deren Texte vorrangig von Knarren und Knast, Drogenhandel und Gewalt handeln; die meisten hatten auch im echten Leben grössere oder kleinere Probleme mit der Justiz. Bushido etwa pflegte jahrelang enge Beziehungen zu kriminellen Mitgliedern des Berliner Abou-Chaker-Clans, die erst vergangenes Jahr in die Brüche gingen, was er in dem Album «Mythos» verarbeitete. Er wurde mehrfach verurteilt wegen Beleidigung, Steuerhinterziehung, versuchten Versicherungsbetrugs. Nach dem Bruch mit Abou Chaker suchte Bushido gleich die Nähe des nächsten kriminellen Clans, der Rammos.

Xatar, ein deutscher Rapper kurdischer Abstammung, verdiente bereits sehr gut mit Musik, als er 2010 einen Goldtransporter überfiel. Wars das Milieu, das Bedürfnis, sich finanziell noch besser abzusichern, oder die Gelegenheit? Xatar jedenfalls wurde gefasst und sass eine fünfjährige Haftstrafe ab, aus dem Gefängnis managte er sein Label «Alles oder Nix»; das Album, das 2015 direkt nach seiner vorzeitigen Entlassung erschien, wurde sein erfolgreichstes. Die erbeuteten 1,7 Millionen sind bis heute verschwunden.

Der eher unbekannte Rapper Veysel hat sogar ein Menschenleben auf dem Gewissen – 2010 schlug er bei einer Schlägerei in seiner Heimatstadt Essen so fest zu, dass sein Kontrahent am Tatort starb. Aber nicht mal das schadete Veysel nachhaltig. Er sass eine dreijährige Haftstrafe wegen Körperverletzung mit Todesfolge ab, zeigte sich reuig, dann verhalf eine Rolle in der deutschen Erfolgsserie «4 Blocks» ihm 2018 zu einigem Ruhm.

Ausnahmeerscheinung Schwesta Ewa, eine polnisch-deutsche Rapperin, wurde 2016 wegen des Verdachts auf Zwangsprostitution festgenommen, was einen Shitstorm auslöste. Im Prozess stellte sich dann heraus, dass die Frauen – weibliche Fans – freiwillig anschafften und Schwesta Ewa sie bloss «managte», woraufhin ihre Beliebtheit wieder stieg. Schwesta Ewa rappt über ihre Erfahrungen als Prostituierte und Zuhälterin im Frankfurter Rotlichtmilieu («Und ich schubse den Bullen. Ich sag’ ups zu dem Bullen»), und gerade ist ihre Autobiografie «Enthüllungen. Das Leben fickt am härtesten» direkt auf Platz 14 in die «Spiegel»-Bestsellerliste eingestiegen. Wegen Steuerhinterziehung und mehrfacher Körperverletzung muss sie nun trotzdem ins Gefängnis, zusammen mit ihrem Baby. «Die ist wirklich kriminell», sagt Loredana, die erst vor kurzem Muttertipps mit ihr ausgetauscht hat.

Im deutschen Gangsta-Rap ist es schwerer, jemanden ohne Vorstrafen zu finden, als jemanden mit. Und, so scheint es, manche Delikte – Drogen, Steuerhinterziehung, Körperverletzung – zahlen sogar aufs Image ein.

Loredana distanziert sich von diesem Genre: «Gangsta-Rapper ist für mich einer, der auch im echten Leben ein Gangster ist. Und ich bin im echten Leben auf jeden Fall kein Gangster.» Hat der Skandal um Petra Z. ihr als Künstlerin nun geholfen oder geschadet? Klar ist: Er verschaffte ihr viel Aufmerksamkeit, und die Songs, die sie anschliessend veröffentlichte, wurden mindestens so erfolgreich wie die vorangegangen. Aber ausserhalb ihrer Fangemeinde traf sie viel Hass und Häme. Noch kam es nicht zu einer Anklage, aber vor dem Gericht der öffentlichen Meinung ist das Urteil gefällt. Auf Youtube wimmelt es von bösen Kommentaren. Unter Eiskalt: «Petra dachte sich auch ‹Loredana hat mich eiskalt abgezogen›.» Unter Sonnenbrille: «Darf man auch Sonnenbrille im Knast tragen?» Unter Jetzt rufst du an: «Och jetzt muss Petra wieder die Telefonrechnung bezahlen» und «Wer ist auch nur hier in den Kommentaren, um Petra-Witze zu suchen?»

Loredana sagte alle Liveauftritte in der Schweiz für den Sommer ab, zum Beispiel das Openair Frauenfeld.

Wer sich gegen Betrugsvorwürfe verteidigen muss, taugt auch nicht als Werbebotschafterin. Ihr Management sieht dadurch kommerzielle Nachteile. Loredanas Künstlerkollegen verdienen ausser durch ihre Musik auch mit lukrativen Werbeverträgen – Nike, L’Oréal, Champion, Manhattan Kosmetik, H&M. Loredana wäre vielleicht die beste Markenbotschafterin – auffallend hübsch, extrem erfolgreich mit einem eigenen Stil und eine von wenigen rappenden Frauen. Aber solange dieser Skandal an ihr klebt, wird da nichts draus.

August ist Hochsaison in Kosovo. Aus der ganzen Welt reisen albanische Familien für die Ferien an, die Hotels sind ausgebucht, die Autos vermietet, die Restaurants in der Fussgängerzone Pristinas bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Diaspora übersommert hier auch deshalb, weil das Leben für sie hier spottbillig ist, vom Luxushotel über den Teller Cevapcici bis zur Busse fürs Rasen. Während Anwalt Thomas Fingerhut in Zürich die Ermittlungsakten studiert, geht Loredana auf Balkantour – weit weg von der Schweiz und den Negativschlagzeilen. Jeden Abend ein Gig, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Albanien – mit dem Auto vom Fünfsternehotel Emerald in Pristina, wo sie sich eingemietet hat, alles in Kürze zu erreichen.

«Eiskalt» steht auf Platz 1 der deutschen Spotify-Charts, auf Platz 2 der deutschen Singlecharts, in der Schweiz auf Platz 7, dort hält sich der Song. «Jetzt rufst du an» ist in Deutschland noch immer auf Platz 5. Gleich zwei Songs so gut platziert, das gelingt in diesen Wochen sonst niemandem.

«Die arbeiten nicht so viel»

Es ist der zehnte Tag ihrer Tour, kurz nach Mitternacht an einem Montagabend, ich treffe Loredana im Fumoir des Hotels Emerald. Sie strahlt diese leichte Angespanntheit aus, wenn noch etwas von einem erwartet wird, und ist gestylt für den Auftritt: platinblonde Extensions, schwarze Radlerhosen, schwarze Doc Martens, ein neongrüner Sweater und wie immer auffälliges Make-up.

Eine Runde rauchender Männer wartet bereits auf sie, Bärte, Baseballcaps, Tattoos. Ehemann Mozzik, dessen Bruder Getinjo, ebenfalls Rapper, Produzent Macloud und Manager Lucas Teuchner, vier Brüder, Neffen, Bekannte. So geht das jetzt seit Tagen jeden Abend. Alle am Handy, rauchend, Tee trinkend.

Ihre Auftritte sind immer erst nachts gegen zwei, weil die Veranstalter es so wollen. Die Leute sollen möglichst lange bleiben und möglichst viel trinken. Auch die Klubs: ein Saisongeschäft, nur geöffnet über die Sommermonate, dann aber jeden Abend.

Auf ihre unbekümmerte Loredana-Art stellt sie mir einen der Männer vor: «Das ist mein Bruder, der ausgeschafft wurde.» Weil Familie für Loredana alles ist, sind auch mehrere Brüder auf der Tour dabei. Jede Nacht ein Auftritt, das schlaucht, sie sieht ein bisschen erschöpft aus, aber wie immer wird sie sofort zur Gastgeberin. Wie Kosovo mir gefällt, will sie wissen. Als ich die Gastfreundschaft lobe, sagt sie: «Die Menschen sind hier so freundlich, weil sie so viel Zeit haben. Die arbeiten nicht so viel.»

In Kosovo – seit 2008 von Serbien unabhängig, aber noch immer nicht von allen Staaten anerkannt – sind über die Hälfte der 15- bis 24-Jährigen arbeitslos. Wer das Glück hat, einen Job zu finden, verdient im Monat durchschnittlich 400 Euro. Die Preise sind tief, aber wiederum nicht so tief, dass man von 400 Euro gut leben kann. Arbeiten zu gehen, lohne sich hier kaum, findet auch Loredanas Bruder: Jedes seiner neun Geschwister überweise ihm monatlich 100 Franken, damit komme er in Kosovo gut zurecht.

Tourauftakt vor zehn Tagen war ein Gig in Mitroviza im Norden von Kosovo. Kriegsgebiet, nennt ihr Bruder es. Unsicher, sagt Loredana, sie wurde von einer Polizeieskorte zum Klub begleitet. Heute werden vier Bodyguards sie, vor allem vor aufdringlichen Fans, beschützen, so wie an allen übrigen Abenden. Die Location: der Diamonds Club in Ferizaj, der Stadt, aus der ihre Eltern stammen.

Loredana ist nicht die einzige Künstlerin auf Balkantour. Ihr Manager sieht im Balkan schon das neue Mallorca. Unter den deutschsprachigen Rappern hat letzten Sommer Azet den Anfang gemacht. Weil es gut lief, wiederholte der 26-jährige Dresdner, wie Loredana mit kosovo-albanischen Wurzeln, die Sache diesen Sommer. Ebenso Dardan, Zuna, Ardian Bujupi, Veysel. Azet und Dardan allerdings erst nach einem Zwischenfall in Hannover: Die überbuchte Eurowings-Maschine hatte die beiden einfach am Flughafen stehen lassen. Also mieteten sie einen Privatjet. Kosten: 18'000 Euro – mehr als die Gage für den Auftritt am Abend, aber gut investiert in eine Menge Wirbel auf Social Media.

Einen Zwischenfall gab es auch bei Loredana: Sie hätte fast ihr Hotelzimmer für Popstar Miley Cyrus räumen müssen. Dua Lipa, britische Sängerin mit kosovo-albanischen Wurzeln, richtete bereits zum zweiten Mal ein riesiges Sommerfestival in Pristina aus und engagierte Miley Cyrus als Headliner. Deren Bodyguards waren überall, in der Lobby, im Lift, sie kontrollierten sogar in der Küche die Zutaten, erzählt Loredana. Sie weigerte sich, innerhalb des Hotels umzuziehen, wegen Baby Hana. Aber kurz verschob sich die Star- und Sternchenkonstellation im Hotel.

Gegen ein Uhr: Aufbruchstimmung. Mozzik in Gucci-Trainingshose und Loredana steigen in den Mercedes, mit dem sie aus Luzern hergefahren sind. Die anderen nehmen den Maybach, die E-Klasse.

Ein gesichtsloses Gebäude, pumpende Beats, die Wagen halten vor dem Hintereingang. Im Backstage-Bereich dichter Zigarettenrauch, überall stehen Wasserflaschen, hier trinkt niemand Alkohol. Vor der Bühne wird Party gemacht, hinter der Bühne Business. Gegen halb drei betritt Mozzik mit seinem Bruder Getinjo die Bühne, der Klub ist gerammelt voll, Frauen in engen Kleidern, Männer in durchgeschwitzten T-Shirts.

Eine Hälfte von Loredanas Fans sind Frauen, die andere Männer. Auch wenns im Klub in der Heimatstadt ihrer Eltern anders aussieht.

Innerhalb des vergangenen Jahres ist Mozzik vom etablierten albanischen Rapstar zum Sidekick seiner Ehefrau geworden, aber er scheint kein Problem damit zu haben. Hätte er sie nicht ermutigt, sagt Loredana, hätte sie nie angefangen, Musik zu machen. Andere sehen die beiden als Traumpaar der deutschsprachigen Rapszene. Während Mozzik seinen Hit «Cocaina» performt, um den Partygästen einzuheizen, laufen auf der Leinwand hinter ihm schon die Videos seiner Ehefrau.

Auch zwei dreizehnjährige Mädchen dürfen heute auf der durchgesessenen Ledercouch backstage sitzen – die Zwillingstöchter von Loredanas Schwester – und ihr Vater. Falls jemand in der Familie Loredana ihren Erfolg neidet, ist davon nichts zu spüren. «Ich bin so stolz auf sie», sagt ihr Neffe, so alt wie sie, und es klingt absolut ehrlich. Er wäre auch gern Rapper, sagt er, zeigt Fotos von Loredana und sich als Kinder. Sie alle dokumentieren Loredanas Auftritte euphorisch auf Instagram, einer ihrer Brüder zum Beispiel so: «King Lori – niemand kann es mit dir aufnehmen, sonst wird alles weggeballert!!!» Dafür, dass sie nur eine berühmte Schwester haben, haben auch sie erstaunlich viele Follower.

Dann kommt Loredana auf die Bühne. Sie beginnt mit «Labyrinth», dann «Romeo & Juliet», dann «Jetzt rufst du an». Handys in der Luft, viele singen mit, und viele können Deutsch.

Diese Balkantour ist eine Art Generalprobe. Ein Testlauf. Die Leute haben 15 Euro Eintritt bezahlt, der Tonmann sitzt hinter der Bühne statt davor, wo er die Musik richtig hören würde, manchmal verpasst Loredana den Einsatz, und dann sieht man, dass sie Playback singt, aber das macht nichts, denn inzwischen ist es drei Uhr nachts, die Stimmung ist gut, die Songs knallen, und die meisten Partygäste sind bereits besoffen. Aber im Frühling steht die Deutschlandtour an. Sie ist wichtig, auch kommerziell, auch in den Augen von Lucas Teuchner. Da muss alles professioneller werden.

«Lori! Lori!»

Am Hinterausgang warten schon die Fans. «Lori! Lori!» Sie wollen Selfies mit ihr, klopfen an die Scheibe, nachdem Loredana sich ins Auto geflüchtet hat.

Morgens um halb fünf postet sie auf Instagram ein Foto von sich aus dem Lift des «Emerald».

Einen Monat später, Anfang September, sitzt Thomas Fingerhuth in seiner Kanzlei im Zürcher Kreis 4. Auf den Knien hat er den Ordner mit Loredanas Akten. Sein Ziel ist, sich mit Petra Z. zu einigen, die Staatsanwaltschaft würde dann das Verfahren wohl einstellen. Im Mai hatte Loredanas zweiter Anwalt Petra Z. bereits 350'000 Franken geboten. Das war dieser aber zu wenig, sie lehnte ab. Loredana schulde ihr 900'000 Franken, war in Interviews zu lesen.

Vielleicht wird die Öffentlichkeit nie erfahren, was genau sich zwischen Petra Z. und Loredana abgespielt hat – es sei denn, es kommt zum Prozess. Bisher hat man auf der einen Seite Petra Z.s Anschuldigungen: Loredanas Bruder habe sie um Geld angepumpt, das er angeblich für eine Operation seiner Mutter brauche. Als Nächstes sei Loredana bei ihr aufgekreuzt und habe sich als Anwältin ausgegeben. Sie habe von Petra Z. noch mehr Geld erpresst.

Falls es so war, hat sich Loredana des Betrugs schuldig gemacht, wogegen ihr Bruder nicht belangt werden kann. Auf der anderen Seite beharrt Loredana darauf, unschuldig zu sein. Sie gibt zu, dass Mitglieder ihrer Familie in die Sache involviert sind.

«Ich arbeite seit zwanzig Jahren auf diesem Gebiet», sagt Fingerhuth, «und ich bin immer wieder überrascht, wie solche Strafverfahren ausgehen. Weil die Motivationen der Beteiligten sich plötzlich ändern.» Wenn Loredana Geld an die Walliserin zahlen würde, wäre das kein Schuldeingeständnis, sagt er. Aber es könnte ein langwieriges Verfahren abkürzen. Und es würde verhindern, dass andere Personen in die Sache reingezogen werden. Andere Personen – bei einer, die behauptet, keine Freunde zu haben, kann es sich dabei nur um Familienmitglieder handeln. Wird Loredana ihre Sicht der Dinge erzählen? Bisher weicht sie in nebulöse Formulierungen aus: «Ich wurde von meinem Vater so erzogen, dass nichts grösser und mächtiger ist als meine Familie.»

Ihr Management wünscht sich einen Freispruch, natürlich, ein sauberes Image für sie vor der Deutschlandtour, auch weil man sie dann endlich als Markenbotschafterin einsetzen könnte. Aber ein Freispruch ist unwahrscheinlich, und bis zum Prozess würden noch Monate vergehen.

Mit Geld liesse sich das Problem aus der Welt schaffen – und genug Geld hat Loredana. Statt: «Hashtag Ich nehm dir all dein Cash weg», rappt sie vielleicht bald: «Hashtag Ich geb dir all dein Cash back.»


* Im Original steht hier der Name der Geschädigten.
** Im Original ist an dieser Stelle Loredanas Bruder namentlich genannt.